Das Kleinod Gamburg

Ein Wimpernschlag in 800 Jahren
Ein Wimpernschlag in 800 Jahren

Eine Herzenssache

  Zur Gamburg, dem Kleinod im Taubertal, habe ich eine sehr persönliche Verbundenheit, nicht nur zu den wunderbaren Eigentümern, Familie von Mallinckrodt, sondern auch zu dieser ausnehmend schönen Spornburg, oberhalb der Tauber. Über die Bedeutung dieser Burg werde ich an späterer Stelle berichten. Für mich begann alles in 2009, als ich gebeten wurde die bedeutenden Wandmalereien im Palas der Burg erstmals systematisch mit Großformataufnahmen zu erfassen...

 

  Nachstehend ein Artikel aus einer Messezeitschrift der Wertheimer Zeitung, den ich vor einigen Jahren verfasst habe und der einen ersten Einblick in die Aura der Gamburg ermöglichen mag.

 

 

Ein Wimpernschlag in 800 Jahren


  Ob es wohl ein ähnlich schöner Abend gewesen ist, als Beringer von Gamburg  über diese Brücke ritt, zurückkehrte auf seine Burg, vom Dritten Kreuzzug unter Friedrich Barbarossa? Hinter ihm seine Gefolgsleute, während im Burghof bereits aufgeregt das Gesinde seine Ankunft meldete, die Hunde ihren lange vermissten Hausherrn mit heiserem Gebell empfingen. Vermutlich hatte in den Siedlungen des Taubertals bereits Glockengeläut seine Rückkunft begleitet.  Mehr als 800 Jahre liegt das zurück undanders als Barbarossa hatteder junge Edelfreie die gefährliche Reise ins Heilige Land überlebt, so beschreiben zumindest die Historiker die Geschichte des frühen Burgherrn, wohl wissend, dass sie nur einen Teil der damaligen Umstände ergründen konnten.

 

  Ich stehe im Burggraben, vor mir meine gewichtige Kamera auf einem nicht minder gewichtigen Stativ, bereit ein sich formendes Motiv, die fortschreitende Abendstunde, jederzeit im Bild festzuhalten. Die Grundsteine der Gamburg und der hohen Sandsteinmauern, neben meinem Standort, waren vom Vater des jungen Beringer gelegt worden.

 

  Zwischen mir und der sich senkenden Abendsonne hebt sich die kleine, aber massiv gemauerte Brücke gestochen scharf gegen den leicht dunstigen Himmel ab. Die beiden Wehrtürme, durch die der Weg von der Brücke ins Innere der Burg führt, wirken durch das gleißende Gegenlicht fast transparent, schwerelos, immateriell. Dabei sind sie in Wirklichkeit überaus massiv, gemauert aus schweren Sandstein-Quadern, scheinen aus der Bergkuppe heraus zu wachsen, als wären sie Teil des Urgesteins, von Meisterhand geformt.

 

  Vor mir, im Burggraben, eine wunderbar gestufte Bepflanzung. Aralie, Frauenmantel, Hortensie und von den hohen Burgmauern herab, die hängenden Ranken der kletternden Weinrebe. Irgendwann findet auch Parthenocissus an der Mauerkrone keinen Halt mehr. Die jetzigen Eigentümer, Baron und Baronin von Mallinckrodt, haben nicht nur bei der Renovierung der Burg, sondern auch bei der Ausgestaltung der gärtnerischen Anlage unendlich viel Geschmack bewiesen. Die Burg hat’s gut getroffen mit der jüngsten Generation ihrer Herrschaft.

 

  Während ich mit der Ausrichtung meiner Kamera beschäftigt bin, steigt von der Burgmauer feucht-sandiger Geruch zu mir, das erlebe ich oft bei meinen Fotoexkursionen, zwischen historischen Gemäuern. Ich mag das sehr. Es ist authentisch, ursprünglich, eine Gemeinsamkeit alter Gebäude und animiert dazu die Gedanken fliegen zu lassen.

 

  Hatte der junge Beringer bei seiner Ankunft wohl bereits den Plan für den Bau des wunderbaren Palasgebäudes seiner Burg im Kopf? Vermutlich wenige Jahre später wurde er in die Tat umgesetzt. Ein Palas der keinen Vergleich zu scheuen braucht, ringsum ausgestattet mit an Schönheit kaum zu überbietenden romanischen Arkaden. Erst vor wenigen Jahren hatte man sie wieder entdeckt, leider nur noch unvollständig erhalten, von nachfolgenden Generationen teilweise zerstört und unter Kalkputz verborgen. 

 

  War es der heimkehrende Kreuzzügler, der von seiner abenteuerlichen Reise die Ideein sich trug, die Wände seines neuen Palas mit, für diese Zeit einmaligen, Secco-Malereien verzieren zu lassen? Ergötzliche Szenen, die zumindest teilweise die Ereignisse um den Kreuzzug in Erinnerung halten sollten? Auch sie waren Jahrhunderte unter dem  von späteren Generationen aufgebrachten Putz  verborgen geblieben.

 

  Vor knapp zwei Jahren (2009) durfte ich die erhaltenen Fragmente der Wandgemälde für die Eigentümerfamilie und die Wissenschaft fotografieren, 800 Jahre alt und seit der Entdeckung ein Kulturgut von nationalem Rang. Für mich selbst unvergessliche Stunden und Tage, ein Eintauchen in längst vergangene Zeiten, gemeinsam mit dem Burgherrn auf Spurensuche nach der Geschichte der Gamburg.

 

  800 Jahre – ist das eine Zeitspanne, die man sich wirklich vorstellen kann? Wie viele Generationen sind das? Wer alles ging in dieser Zeit hier ein und aus, hütete die Traditionen und wagte den Aufbruch in neue Zeiten? Wie viele Schicksale nahmen hier ihren Anfang, oder haben sich hier erfüllt? Welche Entscheidungen wurden hier getroffen, die weit in die Region und auf ihre Menschen wirkten? War der „Schwarze Tod“, die Pest, 1633 auch bis hier oben auf die Burg gekommen? Im Dorf hatte die Seuche entsetzliche Spuren hinterlassen.

 

  Bauernkrieg, Dreißigjähriger Krieg, ging das alles spurlos an den alten Gemäuern vorbei? Wer alles hatte hier Schutz gesucht und vielleicht auch gefunden? Inquisition, Hexenverbrennung, Juden, verfolgt als Brunnenvergifter, das konnte die Gamburg nicht unberührt gelassen haben.

 

  Der alte Bergfried, Urbaum und Mittelpunkt der gesamten Burganlage, weithin sichtbar alles überragend, wer hatte den ersten Stein, wer den letzten gesetzt? Waren die Bauleute immer satt geworden? Der Baumeister, als kleine Figur noch heute zur Erinnerung im Palas erhalten, wie war sein Name?

 

  Natürlich, die alten Mauern können nicht erzählen, aber sie waren dabei, waren Schauplatz, Bühne, Mittelpunkt, oder vielleicht Teil des Geschehens. Geschlechter und Generationen haben hier gelebt, die Burg erbaut, verändert, erweitert. Gebäude sind verschwunden, neue hinzu gekommen. Stilepochen haben ihre Spuren hinterlassen, jeweils im Geist ihrer Zeit, seit über 800 Jahren.

 

Heute steht die Burg erstaunlich gut erhalten da, ein Verdienst nicht zuletzt der Mallinckrodts. Gewiss ist sie lieblicher geworden, hat sich herausgeputzt. Das steht ihr gut. Schnell könnte man vergessen, dass es auch hier Zeiten der Not und des Elends gegeben hat, vielleicht Folter, Grauen und Krieg. Mit Recht sind die jetzigen Eigentümer stolz auf ihre Burg. Figuren, Fratzen aus Stein, Blumen und Pflanzungen, zieren das Innere der Gamburg allerorten, von den Burgherren ausgestattet mit viel Gestaltungssinn, Geschmack und Hingabe.

 

Während sich meine Gedanken in Phantasien über die Anfänge und die Geschichte der Burg verlieren, ist die Sonne wieder ein Stück weiter hinter den Wehrtürmen verschwunden. Ich betrachte meine Mattscheibe, prüfe noch einmal alle Einstellungen, das Motiv scheint perfekt. Die herbstlichen Zweige der Aralie spielen im Abendlicht vor den Wehrtürmen, der Burggraben liegt bereits im Schatten. Das auf dem Kopf stehende Bild der Mattscheibe zeigt  einen beinahe unwirklichen Kontrast und gleichzeitig eine unglaubliche Harmonie. Ich spanne den Verschluss, lege die Filmkassette ein, bitte jetzt keinen Fehler machen! Noch einmal prüfe ich die Szenerie und löse aus. Das schnurrende Verschlussgeräusch signalisiert, dass das Motiv eingefangen ist, ein gutes Gefühl, ein wunderbarer Platz, ein perfekter Moment.  Ein Wimpernschlag in 800 Jahren.